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Eva-Maria Silies

Eva-Maria Silies

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abstract Eva-Maria Silies

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Die Pille wurde in der Bundesrepublik 1961 eingeführt und im Laufe der sechziger Jahre zum meistgenutzten Verhütungsmittel, bis dann in den siebziger Jahren unter dem Einfluss der Frauenbewegung kritische Stimmen zur Pille immer lauter wurden. Bei der Einführung und Durchsetzung spielten nicht nur verschiedene professionelle Gruppen (Ärzte, Pharmazeuten) und Werte- und Interessengemeinschaften (katholische Kirche, Frauenorganisationen) eine gewichtige Rolle, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Einstellung zu Familienplanung, Geburtenkontrolle und Sexualität.

Ein sensibles und emotionales Thema wie Empfängnisverhütung wurde erst langsam und verschämt öffentlich behandelt, und es scheint vor allem der Erfahrungsaustausch unter Frauen - sowohl innerhalb einer Altersgruppe als auch durch intergenerationelle Beziehungen - ein Schlüssel für die Weitergabe von Denkweisen und Praktiken gewesen zu sein. Die weit greifende Charakterisierung aller Frauen der sechziger und frühen siebziger Jahre als „stille Generation“ könnte dabei sowohl die (vermeintliche) Privatheit des Themas Empfängnisverhütung als auch die Abgrenzung zur offensichtlich männlich dominierten und öffentlichkeitsstarken politischen 68er Generation deutlich machen. Die siebziger Jahre unterscheiden sich auch in Bezug auf die Erfahrungsvermittlung von den Sechzigern, da sich durch den Einfluss der Neuen Frauenbewegung eine negativere Einstellung gegenüber der Pille durchsetzte. Vor allem wurde beklagt, dass die Nebenwirkungen und damit verbundenen Gesundheitsrisiken wieder nur zu Lasten der Frauen gingen, so dass zwar die permanente Angst vor ungewollter Schwangerschaft gewichen sei, zugleich aber die Frauen quasi permanent sexuell zur Verfügung standen und so nicht von einer „sexuellen Freiheit“ im weiblichen Sinn gesprochen werden konnte.

In einer wissenschaftlichen Analyse der hier angerissenen Praktiken und Denkweisen ist die Frage nach der Vermittlung des Wissens über die Pille elementar. Unterschiedliche Tradierungs- und Erziehungslinien führen offenbar zu einem differierenden Gebrauch der Pille und damit zu verschiedenen Einstellungen zu Sexualität und Körperlichkeit. In dem Projekt sollen die erfahrungsgeschichtlichen Dimensionen anhand von weiblichen Erzählungen erfasst wer-den. Dafür sind neben der öffentlichen Berichterstattung, den Diskussionen in (weiblichen) Expertenkreisen und (auto-)biographischen Erzählungen vor allem Interviews mit Frauen von Bedeutung. Dabei sind unterschiedliche Sozialisationserfahrungen und Altersgruppen zu berücksichtigen, denn in der Frage nach der generationellen Thematisierung scheint ein Schlüssel für das Verständnis der Debatte um die Pille und allgemein der sozialen „mores“ und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse der sechziger und siebziger Jahre zu liegen.