Nach einer klassischen Definition von Wilhelm Dilthey "bildet eine Generation einen Kreis von Individuen, welche durch Abhängigkeit von denselben großen Tatsachen und Veränderungen, wie sie im Zeitalter der Empfänglichkeit auftraten, trotz der Verschiedenheit hinzutretender anderer Faktoren zu einem homogenen Ganzen verbunden sind." Ganz ähnlich argumentiert Marc Bloch: "Diese Gemeinsamkeit der Prägung, die aus der Gemeinsamkeit des Alters herrührt, lässt eine Generation entstehen." Aber weder ist nach Bloch von einer "Periodizität der Generationen" auszugehen, noch von einer einheitlichen generationellen Prägung der verschiedenen Milieus. Obwohl der Begriff also selber "dehnbar" ist, und sich Generationen per definitionem immer "gegenseitig durchdringen", scheint ihm der Generationsbegriff "mehr und mehr dazu bestimmt, die erste Messeinheit bei einer rationalen Analyse der Menschheitsgeschicke darzustellen", weil Generationen in Kurzform dasselbe sind wie "Kulturen" (civilisations) in Langform. Schon Dilthey hatte aber davor gewarnt, bei der Konstruktion von Generationen als Erfahrungsgemeinschaften die historischen Erkenntnisgrenzen zu übersehen: "Die Form der historischen Darstellung täuscht sich so leicht über dieselben. Denn sie schreitet überall mit der Zeit selber vorwärts, ableitend, aus Ursachen Folgen entwickelnd, möglicherweise aus der Gesamtheit eines ursächlichen Zustands die Gesamtheit des durch ihn bestimmten Zustandes." Die zahlreichen aktuellen Thematisierungen der Generationenproblematik stehen weitgehend unverbunden nebeneinander. Es führt kein Weg von der Stilisierung der "Generation Golf" –inzwischen schon wieder als Nachtrag – zum "Krieg der Generationen" in der Sozialstaatsdebatte, oder von der "politischen Generation" in der nationalsozialistischen Täterforschung zur "generationellen Tradierungskrise" beim Zusammenbruch der DDR. Demgegenüber erwies sich die Annahme als verbindender methodischer Ansatz, dass die so gerne beschworenen Generationen in ihren Abfolgen und Konflikten in der Regel nicht die Lösung des zu untersuchenden Problems darstellten, sondern dass die generationelle Inszenierung solcher Abfolgen und Konflikte selber Teil des Problems ist. Anders als in der frühen Gender-Forschung ist also nicht von einem konstitutiven Gegensatz der Generationen auszugehen, der sich in der Geschichte nur verschieden gestaltet, sondern von der spezifisch historischen Konstruktion einer generationellen Beziehung, deren Wirkung und Reichweite nach Trägern und Konjunkturen, Epochenbezügen und Zukunftserwartungen jeweils zu bestimmen ist. "Generationalität" in der Geschichte ist demnach als ein historisch spezifischer Bedeutungsprozess zu erfassen, der sich auf der Grundlage demographischer und sozialisatorischer Trends zur Inszenierung von Konflikt-, Verteilungs- und Tradierungskonstellationen eignet, ohne dass damit schon die von Karl Mannheim vorgesehene Progression von der Generationslagerung, über den Generationszusammenhang zum Generationsbewusstsein – von der "Generation an sich" zur "Generation für sich" - anzunehmen ist. Vielmehr verrät diese Definition selber eine Bindung an den "heroischen und tragischen" Identitätsbegriff der "politischen Generationen", die in der langen Kette der männlichen Jugendgenerationen zu sehen sind, die seit den Befreiungskriegen zur Grundausstattung des deutschen Jugendmythos gehören. Durch die Kontrastierung dieser klassischen Position mit den Feldern konkurrierender "Generationalität" in der historischen Erfahrungsbildung, ökonomischen Konsumorientierung, kulturellen Stilbildung und politischen Machtverteilung wird der verborgene Elitenanspruch des Mannheimschen Generationenbegriffs offenbar, der sich in der Idealisierung der nationalen Erlösungshoffnung der männlich-bürgerlichen Jugend erschöpft. Tatsächlich ist damit aber weder das diachrone Problem der lebensgeschichtlichen Generationsfolge, d.h. des Wandels generationeller Perspektiven im Lebenslauf, noch das synchrone Problem der inner-generationellen Konkurrenz erfasst, das oftmals Pate bei der "Erfindung" der politischen Generationen und der generationellen Stilisierung überhaupt stand. Ähnliche Beobachtungen lassen sich bei der Verbreitung von Stilelementen oder der Tradierung von Erinnerungskonstruktionen machen, und zwar trotz der erkennbaren nationalen Variationen in der Stilbildung auch als transnationale Generationskonjunktur. Solche Dimensionen der Generationsproblematik sind nur durch die Verbindung verschiedener Fachperspektiven im Kolleg zu erschließen. Erst die transdisziplinäre und transnationale Durchdringung des Generationsproblems kann verhindern, das in jedem der beteiligten Felder die "Generation" als Antwort gegeben wird, wo sie sich als Frage stellen müsste. Im Sinne der neuen Kulturgeschichte wird "generation building" als Deutungsprozeß von Generationserfahrung und Generationsbewußtsein verstanden. Generation in diesem Sinne bezeichnet dann "ein Ensemble von alterspezifischen inhaltlichen Zuschreibungen, mittels derer sich Menschen in ihrer jeweiligen Epoche verorten" bzw. verortet werden (Ute Daniel). Generationengeschichte ist daher – in Analogie zur Geschlechtergeschichte – ein Begriff
der Erfahrungsgeschichte, weil die jeweilige Kohortenzugehörigkeit im Prozess der Erfahrungsbildung selber bearbeitet und im Lebenslauf verwandelt werden kann,
der Beziehungsgeschichte, weil sich jede Generation in der Geschichte nur in Beziehung zu einer anderen Generationseinheit verstehen kann, zumal sich solche Generationseinheiten nur durch eine solche Beziehung überhaupt erst konstituieren und historisch beobachten lassen,
der Gestaltgeschichte, weil sich die Ausprägung eines generationellen Stils als historische Markierung eines Epochengefühls eignet, das als kulturelle Deutungsleistung alle Bereiche der historischen Wirklichkeit neu zu ordnen vermag,
der Tradierungsgeschichte, weil sich nur durch die generationelle Tradierung überhaupt die historischen Dynamik begreifen lässt, die in krisenhaften Überlieferungsbrüchen zum Ausdruck kommt,
der Historisierungsgeschichte, weil der Begriff der historischen Generation selbst ein historisch gewordener Begriff ist, insofern er seit dem 18. Jahrhundert im Bewusstsein der eigenen historischen Perspektivierung entsteht und in der gesamten Moderne als Erinnerungsbegriff der eigenen Vergangenheit angewandt wird.
Insofern eignet sich der historische Zugang über die Generationsgeschichte zu einer Aufschlüsselung integraler Perspektiven auf die Geschichte der Moderne, und zwar in Verbindung von bisher oftmals getrennten Zugängen der Politik- und Kulturgeschichte, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sowie der Ideen- und Mentalitätsgeschichte. Gleichzeitig erfordert die Generationengeschichte eine enge Kooperation mit Nachbardisziplinen wie der Historischen Pädagogik und der Historischen Soziologie sowie den Literatur- und Kulturwissenschaften. Sie ist in hohem Maße geeignet, etablierte Einzelfragestellungen zu integrieren und neue Untersuchungsfelder zu erschließen, von den "querelles des anciens et des modernes" als Aufklärungsdiskurs über die revolutionären Generationen des 19. Jahrhunderts bis zu den "politischen Generationen" der Weltkriegszeit und der "Erfindung des neuen Menschen" im Zeitalter der Ideologien. Insgesamt geht es dabei immer um die historische Modulierung von "Erfahrungsraum und Erwartungshorizont" (Reinhart Koselleck) durch den Generationszusammmenhang, der die spezifische Zeiterfahrung der Beschleunigung in der Moderne trägt. Entgegen der Unterscheidung Karl Mannheims zwischen "Generationslagerung" und "Generationseinheit", die dem marxistischen Problemgegensatz von der "Klasse an sich" und der "Klasse für sich" nicht entkommt, erscheint es sinnvoll, von einem historischen breiteren Konzept der "Generation" als "Prozess" oder "Bewegung" auszugehen. Der Schlüssel für die Mobilisierung solcher Deutungsprozesse wird in der symbolischen Form eines generationellen Stils zu finden sein, der prinzipiell quer zu den verschiedenen Erfahrungs- und Sozialisationsräumen der Klassen- und Geschlechtszugehörigkeit liegt. Die Generationengeschichte kann erweisen, dass die generationellen Stile im bürgerlichen Zeitalter durchaus auch weiblich und im Zeitalter der Ideologien durchaus auch antibürgerlich codiert waren. Es verbietet sich von daher auch eine nationale Beschränkung der Fragestellung, weil die transnationalen Transfers dieser generationellen Formierungen den Nationalstaat als "Begriffsbehälter des Sozialen" sprengen. Tatsächlich kann sich die Generationsverbundenheit im europäischen Kontext als ein konstitutives Element des europäischen Geschichtsbewusstseins erweisen – von der "romantischen Generation" über das "junge Deutschland" des "Völkerfrühlings von 1848" bis zu den "Frontgenerationen" des Ersten Weltkriegs oder den politischen Generationen der beiden europäischen Nachkriegszeiten. Auch die Konsum- und Jugendstile, die familiären und institutionellen Sozialisationsmuster oder der politische Verteilungskampf der Generationen im Sozialstaat lassen transnationale Muster der "Generationsbildung" erkennen, die sich auch in den Narrativen einer gemeinsamen europäischen Geschichte wiederfinden lassen.. Trotz des öffentlichen Rangs, den die Generationsfrage insbesondere im Hinblick auf die demographische Krise des Wohlfahrtsstaates genießt, und trotz des Ausbaus der Sozialgeschichte zur Kultur- und Erfahrungsgeschichte kann man mit gutem Grund von der "bisher eigentlich noch nirgendwo existierenden Generationengeschichte" reden (Hans-Ulrich Wehler). Die Forschungslandschaft zur Geschichte der Generationen zeigt einen weitgehend unvermittelten Diskussionsstand, und die rudimentären Erträge der soziologischen und historischen, literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung gehen zudem von einem ungeklärten und oftmals konträren Generationsverständnis aus. Hier setzt das Graduiertenkolleg an, um die Teilergebnisse der verschiedenen Disziplinen miteinander zu konfrontieren und zu einer neuen Bestimmung von Generationsgeschichte vorzustoßen. Will man die wichtigsten Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen und der historischen Generationsforschung zusammenfassen, ergibt sich ein disparates Bild: Generationen sind ebenso als Träger wie als Produkt gesellschaftlicher und politischer Prozesse zu identifizieren, während die "Generationalität", die Erfahrung und Verarbeitung von generationeller Differenz, als Bedeutungsrest bestehen bleibt. Generationalität scheint demnach das Ergebnis eines historischen Aushandlungsprozesses zu sein, in dem Generationen weder vorausgesetzt werden können, noch zu sich selber kommen müssen, wie es bei Mannheim den Anschein hat. Sowohl in der sozialwissenschaftlichen als auch in der historischen Generationsforschung gewinnt damit die kulturelle Deutungsleistung von "Generationalität" eine zentrale Bedeutung. Die Grenzen zwischen Faktizität und Fiktion werden im kulturellen Konstrukt der Generation flüssig. Diese Wechselwirkung von gelebter und fiktiver Stilbildung ist in der literaturwissenschaftlichen Forschung ein altes Problem, das unter anderem in der Epochenbildung der Literaturgeschichte seinen Ort hat. Eine Geschichte der Generationen kann die verschiedenen Ansätze nur miteinander vermitteln, wenn sie auf die Organisation von Zeitlichkeit als Schlüssel für die Erfahrung von "Generationalität" verweist. Nach Reinhart Koselleck sind "Generationswechsel und Generationsschübe (...) schlechthin konstitutiv für den zeitlich endlichen Horizont, durch dessen jeweilige Verschiebung und generative Überlappung sich Geschichten ereignen." Neben der generellen Nichtübertragbarkeit der generationsspezifischen Erfahrungen ist es gerade die unhintergehbare Verzeitlichung der Sozialbeziehungen, die Geschichte im neuzeitlichen Verständnis erst möglich macht. Die "Zeitigung von Generationen" ist eine wesentliche Bedingung von Geschichte überhaupt, insofern nämlich Erfahrungen immer individuell gemacht, aber generationell gesammelt werden. Im historisch spezifischen Modus der "Generationalität" findet sich daher der fließende Übergang zwischen Herkunft und Gedächtnis, der die eigentliche "Zeitheimat" (W. G. Sebald) des Menschen in der sich beschleunigenden Zeiterfahrung der Moderne ausmacht. Ziel des Graduiertenkollegs ist somit nicht die Gewinnung einer historischen Theorie der Generationen, sondern die Eröffnung einer neuen Perspektive auf die Grundfragen der historischen Erfahrungsbildung in der Moderne. Die Selbst- und Fremdkonstruktion von Generationen soll auch nicht als eine Art wiederkehrende Konstante des historischen Prozesses verstanden werden, der die alten Epochenbildungen quasi anthropologisch bestätigt oder revidiert. Es geht vielmehr darum, in der Kategorie Generation eine eigenständige Form der historischen Erfahrungsmodulation zu finden, die auf ganz unterschiedliche Weise den Akteurscharakter der Aushandlungsgeschichte – aus der neuen Sozialgeschichte – mit dem Stilcharakter der Deutungsgeschichte – aus der neuen Kulturgeschichte – verbindet. Dieses Forschungsprogramm stand bei der Einrichtung des Graduiertenkollegs durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im April 2005 im Vordergrund. Nach der erfolgreichen Evaluation durch die DFG im März 2009 soll in der zweiten Förderphase bis zum März 2014 eine leichte Akzentverschiebung in Angriff genommen werden (siehe Forschungsperspektiven).
Das Forschungsprogramm des Einrichtungsantrags ging von einem konstruktivistischen Begriffsverständnis aus, das sowohl den kulturalistischen wie den essentialistischen Gebrauch des Generationsbegriffs ablehnte. Es wandte sich damit gegen die ubiquitäre Zuschreibung von Generationen in Wissenschaft und Öffentlichkeit als rasch wechselnde Kulturträger auf der einen Seite und die scheinbare Evidenz von wenigen herausragenden politischen Generationen auf der anderen Seite. Demgegenüber zielte das Programm auf die Frage ab, wie die Generationszugehörigkeit historisch und kulturell jeweils verhandelt wurde, unter welchen Bedingungen "Generationalität" als Generationsbewusstsein wirksam werden konnte und welche Bedeutung der "Generationalisierung" als Anspruch auf politische wie emotionale Zugehörigkeit zukam. Dieser Ansatz wird durch die neuere Generationsforschung der letzten Jahre bestätigt: Es kann nach der Definition der Generationen als "Erinnerungsorte" der modernen Revolution (Pierre Nora) nicht nur darum gehen, lediglich familiäre (genealogische) Generationen oder historische Altersvorstellungen zu identifizieren; es ist vielmehr der Modus der Vergemeinschaftung in rasch wechselnden "Zeitheimaten" (W.G. Sebald) bzw. die Beschleunigung der Zeiterfahrung durch die Generationsbildung in der Moderne überhaupt zu untersuchen. Wie in der Geschlechtergeschichte das "doing gender" steht damit das "generation building" nach wie vor im Mittelpunkt der Kollegsarbeit. Die Weiterentwicklung des Forschungsprogramms baut auf den Ergebnissen der bisherigen Projektarbeit auf, die wie folgt zusammengefasst werden können:
Vor diesem Hintergrund ist das ursprüngliche Forschungsprogramm für die zweite Förderperiode weiterentwickelt worden. ‚Erfahrung' und mediale ‚Repräsentation' sind als Schlüsselbegriffe der Generationsforschung durch zwei weitere Aspekte zu ergänzen, wenn man dem doppelten Anspruch genügen will, dass die Generationsrede nicht nur individuell evident, sondern auch gesellschaftlich erprobt sein muss, um Wirksamkeit entfalten zu können: Zu fragen ist einerseits nach dem Wandel der Subjektivitätsvorstellungen, andererseits nach der Prägekraft von Sozialisations- und Erziehungsstilen:
Die übliche Verengung auf die "politischen Generationen" wird systematisch aufgesprengt. Zuschreibungen wie "die" 45er, 68er oder 89er werden als problematisch identifiziert, indem deren "Generationalisierung" als prekäre und meist nur ex-post stilisierte Zuschreibung von Ergebnissen hegemonialer Konflikte interpretiert wird. Außer der von Karl Mannheim beobachteten Ereignishaftigkeit der Prägung im Jugendalter setzt dies in der Regel auch eine öffentlichkeitswirksame Erinnerungskultur voraus, was beispielsweise die Entstehung eines Generationsbewusstseins für die 89er bisher verhindert hat. Auch die institutionelle Sozialisation von karrieregebundenen Kohorten wie etwa die der professionellen Kriegsgeneration vom Ersten Weltkrieg bis zur Bundesrepublik wird dabei als gegenläufige Option zur "Generation des Unbedingten" (Michael Wildt) etabliert.
Größere Beachtung finden stattdessen die Konstitutionsbedingungen von "stillen Generationen", die entweder als leibliche Erfahrungsgemeinschaft – etwa durch die Einführung der Pille – auch ohne politische Hegemonie handlungsleitend wurden, oder als "Stilgeneration" – etwa in der Habitualisierung der modernen Ferienreise – kulturelle Handlungsmuster etablierten, die die zeitliche Erfahrungsgemeinschaft aus dem pathetischen und heroischen Anspruch der männlich-bürgerlich-elitären Generationsbildung heraus lösen. Der Modus der "Erfahrungsverarbeitung" erweist sich auch hier von größerer Bedeutung als die vermeintlich pragmatische Evidenz der Prägung im Jugendalter.
Als fruchtbar zeigt sich die Thematisierung von familialen Generationen, sei es in der Transformation genealogischer Modelle im (jüdischen) Bürgertum oder in der Nachfolgeregelung in Familienbetrieben im 19. und 20. Jahrhundert. Die erlebte und inszenierte generationelle Differenz kann hier als ein zentrales Element von Prozessen der inner-familiären Bindung und Ablösung identifiziert werden, die sich etwa in symbolischen Praktiken – wie z.B. der Mode – niederschlagen, aber auch konstitutiv für Prozesse der gesellschaftlichen Integration sein können, wie das Beispiel von maghrebinischen Einwandererfamilien in Frankreich zeigt. Gerade das Spiel der Generationsrollen in solchen familiären Kontexten macht auch den Transfer der Generationsrede auf die gesellschaftliche Ebene so verlockend und einleuchtend. Schließlich "altern" die Generationen auch im Lebenslauf, wie ein Projekt zur Erfahrung von erwachsenen Kindern mit ihren pflegebedürftigen Eltern demonstriert.
Selbst im engeren Feld der soziologischen Kohortenanalyse erweist sich eine Engführung der Generationsfrage als wenig ergiebig, zumal auch bei der Analyse des sozialpolitischen Konzepts von "Generationengerechtigkeit" die Generationsrede nur als Thematisierungsschleuse für verschiedene Formen der Ungleichheit fungiert. In einem neueren Projekt zur "Baby-Boomer"-Generation wird diese Ambivalenz in der Gegenüberstellung von sozialem Aufstiegsversprechen und kultureller Deutungsleistung erprobt.
Die kulturelle Deutungsleistung der "Generationsrede" steht daher schließlich in starkem Maße auf dem Prüfstand. Das zeigen die Ergebnisse einer Reihe von literarischen und medienanalytischen Projekten, etwa zur generationellen Konstruktion von Leserschaft durch Schundromane oder zur Behauptung von generationellen Erinnerungsgemeinschaften durch die ‚Väterliteratur' der Nachkriegszeit. "Playing the generation card" (Björn Bohnenkamp) wird aus dieser Perspektive zu einem transferierbaren Deutungsangebot, das den Erzählcharakter der Generation in den Mittelpunkt rückt.
Insgesamt ergänzen die beiden neuen perspektivischen Erweiterungen die bisherigen Forschungsansätze auf innovative Weise, weil nicht nur die literarische oder historische Form der Generationsrede, sondern auch die habituelle und symbolische Interaktion von familialen Generationen einem vorgängigen Verständnis von Subjektivität verpflichtet ist, das sich insbesondere in den Sozialisationsstilen der nachwachsenden Generationen spiegelt. Es wird mit diesem Forschungsdesign möglich sein, den gängigen Generationsannahmen entgegen zu treten und das "generation building" selbst als historisch bedingte und umstrittene Vergemeinschaftungsform mit identitären Subjektivitätsversprechungen zu kritisieren. Das Forschungsprogramm des Kollegs sieht daher insgesamt eine Fortführung und behutsame Neuausrichtung der Fragestellung vor, die sich aus der Bündelung der Erfahrung der ersten Förderperiode ergibt und nach den Voraussetzungen für die Wirkungsannahme der Generationsrede in den sich wandelnden Subjektivitätsannahmen und deren Habitualisierung in Erziehungsstilen sucht.
Wenn es bei der Generationsrede um einen Anspruch von selbst ernannten Sprechern auf scheinbar natürliche Zugehörigkeit geht, dann wird die Chance der Gefolgschaft nicht nur von der Gültigkeit anderer Zugehörigkeitsansprüche oder der situativen Deutung einer spezifischen Zeiterfahrung abhängen. Vielmehr werden Elemente von Subjektivitätsvorstellungen immer wieder neu verhandelt, die sich historisch und kulturell aus dem Versprechen der Generationen-Gemeinschaft ergeben. Das Paradox der subjektiven Selbstwerdung und -erfahrung durch einen vermeintlichen oder konstruierten, jedenfalls emotionalen Generationszusammenhang ist offenbar an historische Konjunkturen und Stufen von Subjektivitätsvorstellungen in der Moderne gebunden. Die Selbst- oder Fremdzuschreibung von Generationszugehörigkeit wäre demnach als die Auslegung eines besonderen "Selbstverhältnisses" zu beschreiben, und zwar nicht nur – wie in den 1920er Jahren analog zur "Psychologie des Jugendalters" (Eduard Spranger) – aus der Erfahrungsprägung im Jugendalter, sondern – analog zur späteren Konjunktur freudianischer Ansätze – auch in der retrospektiven Deutung der lebensgeschichtlichen Relevanz von frühkindlicher Deprivation, wie das in der generationellen Erblast von Holocaust-Überlebenden oder in der vermeintlichen Traumatisierung von "Kriegskindern" als Generationsschicksal zum Ausdruck kommt. Die Verwandlungen des Selbst durch Generationserfahrungen unterliegen offenbar nicht nur dem Einfluss von "prägenden Ereignissen" oder kulturellen Deutungsleistungen, sondern darüber hinaus auch emergenten und populären Formen des humanwissenschaftlichen Wissens über Subjektivität.
In engem Zusammenhang damit steht ein zweiter perspektivischer Problemzusammenhang, der nach den Wurzeln für die Erfolgschance der Generationsrede in der Geschichte der Sozialisationsstile sucht. Damit ist nicht nur die Kohortensozialisation in Institutionen gemeint, die gelegentlich als Generationsbildung missverstanden wird, sondern die emotionale und politische Rahmung von individuellen Ansprüchen und gesellschaftlichen Versprechungen, wie sie in den Konjunkturen von Sozialisations- und Erziehungsstilen– etwa dem Regime der Körperstrafe – gebündelt sind. Die wahrgenommene Erfahrungsprägung wird dabei über Mannheim hinaus auf emotionale Regime ausgedehnt.