Mein Dissertationsprojekt untersucht die tiefgreifenden Umwandlungsprozesse während der Institutionalisierung der ostdeutschen Wissenschaftsgeschichte als selbständige historische Disziplin in den Gründungsjahren der DDR am Beispiel der ostdeutschen Alexander von Humboldt-Forschung. Exemplarisch sollen die deutsch-deutschen Kontroversen während der beiden großen Alexander von Humboldt-Jubiläen 1959 und 1969 in Berlin (Ost und West) analysiert werden.
Damals wurde offenbar, dass sich innerhalb von nur 25 Jahren zwei deutsche Nachkriegsgenerationen von Wissenschaftshistorikern trotz gemeinsamer Wurzeln und intensivem Diskurs argumentativ meilenweit voneinander entfernt und ein jeweils eigenes „Generationsbewusstsein“ entwickelt hatten. Was war geschehen? Der westdeutschen Kontinuität hatte die ostdeutsche Seite mit dem Versuch der „totalen Erneuerung“ einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin geantwortet. Total erneuert wurde die DDR-Wissenschaftsgeschichte in ihrem Selbstverständnis sowohl hinsichtlich ihrer Protagonisten als auch ihrer Prämissen, Methoden und der daraus folgenden Thesen. Die Transformation der DDR Wissenschaftsgeschichte von einer bürgerlichen zu einer marxistischen Wissenschaft soll als doppelter Generationenkonflikt analysiert werden, in dem sich die ostdeutschen Wissenschaftshistoriker einerseits von ihrer Vätergeneration andererseits aber auch von ihren gleichaltrigen westdeutschen Kollegen zu emanzipieren suchten und dabei einen eigenen wissenschaftlichen Stil entwickelten. Im Rückblick gewinnt sowohl der Ort der Humboldt-Jubiläen Berlin als auch der Konflikt selbst hohen Symbolwert. Der vermeintlich wissenschaftliche Diskurs beider Seiten lässt sich so gesehen nur als Teil des großen Diskurses der beiden „europäischen Nachkriegsgenerationen“ am Brennpunkt ihrer Auseinadersetzung verstehen.
Über die verantwortliche Untersuchung des konkreten historischen Fallbeispiels hinaus soll als systematischer Ertrag der Dissertation eine Theorie wissenschaftlicher Generationen entwickelt werden. Dies soll in enger Anlehnung an den Begriff der „politischen Generation“ erfolgen. Wobei natürlich zu beachten ist, dass der Begriff der „politischen Generation“ der umfassendere in dem Sinne ist, dass jede wissenschaftliche Generation zugleich einer politischen Generation angehört und diese Zugehörigkeit in der wissenschaftlichen Praxis ihre Auswirkungen hat. Gleichzeitig hat die wissenschaftliche Praxis aber auch genuin wissenschaftsimmanente Implikationen, so dass man beide Begriffe mit der nötigen Deutlichkeit unterscheiden kann. Die so bestimmte wissenschaftliche Generation soll hauptsächlich als Objekt des geschichtlichen Prozesses untersucht werden, d.h. die Bildung einer wissenschaftlichen Generation soll als Ergebnis von gesellschaftlichen Formungsprozessen verstanden werden. Dabei soll aber keineswegs ein im Einzelnen näher zu bestimmender Handlungsspielraum der verschiedenen Akteure negiert werden, der sich aus dem Spannungsverhältnis von Individuum und „Generationslagerung“ ergibt.