Die Familie steht in letzter Zeit verstärkt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Besonderes Interesse gilt der Frage, ob in Familien noch erzogen und was den Kindern vermittelt werde. Dies verweist auf die Aktualität des Themas Tradierungsprozesse in Familien.
Ziel dieses Projektes ist es zu untersuchen, ob und welche Leitlinien der Lebensgestaltung in Familien im Generationenverlauf tradiert, modifiziert oder aufgegeben werden. Mit Bezug auf Bourdieu, ergänzt um Halbwachs Ausführungen zur Erinnerungsthematik, wonach die Erinnerungen des Einzelnen durch das jeweilige soziale Umfeld mitgestaltet und geprägt werden, lautet die zentrale Annahme, dass Familien einen starken Einfluss auf die Entwicklung von Leitlinien der Lebensgestaltung ihrer Mitglieder haben. Dies bedeutet nicht, dass Leitlinien der Lebensgestaltung ungebrochen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Vielmehr ist die nachfolgende Generation aktiv an diesem Prozess beteiligt. So werden Leitlinien der Lebensgestaltung nicht nur weitergegeben, sondern Tradierungslinien können abbrechen oder verändert werden.
Um Tradierungslinien, -brüche und -modifikationen herauszuarbeiten, konzentriert sich der Blick auf die Aspekte Erinnerung, Erziehung und Generationenbeziehungen. Die Erinnerungen und Themen von Großeltern-, Eltern- und Enkelgeneration werden miteinander verglichen, um Kontinuitäten und Brüche zu identifizieren. Dabei ist zu fragen, wie sich die Generationenbeziehungen und die Erziehung im Generationenverlauf entwickelt haben, ob bestimmte Tradierungslinien mit einer bestimmten Art der Erziehung und einer bestimmten Gestaltung von Generationenbeziehungen gekoppelt sind.
Zur Beantwortung der Fragestellung wird ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Es werden mit neun Familien, die in einer ländlichen Region leben, offene Leitfadeninterviews mit narrativen Passagen geführt und eine Auswahl ihrer Familienfotografien analysiert. Es werden jeweils drei Generationen einer Familie in die Untersuchung aufgenommen.